Was Geschichten können

Geschichten haben viele Funktionen. Die uns geläufigste ist sicherlich, dass uns gute Geschichten unterhalten. Sie laden uns ein, einem Helden, einer Heldin in fremde Welten zu folgen und an deren Seite spannende, romantische, gruselige oder aberwitzige Abenteuer zu erleben und damit dem eigenen Alltag zu entfliehen. Für eine gewisse Zeit denken wir nicht mehr an die tausend Dinge, die von uns erledigt werden wollen, wir vergessen unseren Ärger, vergessen, dass uns dies uns jenes eigentlich schon lange stinkt, ohne dass wir jemals eine Idee gehabt hätten, wie wir das Problem angehen könnten.

Geschichten fungieren als kleine Fluchten, als Gegengewicht zur oft tristen Alltagswelt.

 

Wenn wir Geschichten gemeinsam erleben, indem wir vorlesen oder einen Film sehen, können wir sie zusammen genießen, miteianander lachen, gemeinsam hinterm Kissen in Deckung gehen oder uns gegenseitig Taschentücher reichen. Dann sind Geschichten Brücken, die uns verbinden und uns immer wieder Spannung und Spaß gemeinsam erleben lassen.

 

Manchmal tauchen wir durch Geschichten so tief in fremde Lebenswelten ein, dass wir allmächlich begreifen, wie das Leben der Menschen in dieser Welt funktioniert. Wir begegnen Denkweisen und Einstellungen, die uns völlig fremd sind, aber langsam wird uns klar, dass es auch für diesen Blick auf die Welt Gründe gibt. Gute Geschichten schaffen es, den Horizont zu erweitern und lassen uns spüren, dass unser eigener Blickwinkel niemals der einzig wahre sein kann - denn dafür gibt es zu viel auf der Welt, von dem wir schlicht nichts wissen. Solche Geschichten machen demütig und weise zugleich.

 

Und dann gibt es Geschichten, die etwas tief in uns berühren. Etwas in der Handlung, in den Figuren, ist uns auf eine Weise vertraut, die wir nie vermutet hätten. Pötzlich ist da ein Schmerz, eine Sehnsucht im Herzen, die wir vor langer Zeit für tot erklärt haben, etwas, das wir längst vergessen glaubten. Die Sehnsucht, etwas Besonderes zu schaffen, nicht mehr allein zu sein, einen Sinn im eigenen Sein zu finden, sich den Dingen zu widmen, die einem wirklich wichtig sind. All diese Schmerzen und Sehnsüchte, für die so ein Standardtag zwischen Arbeit, Haushalt, Familie und Konsum keine Zeit lässt.

Diese Geschichten sind gefährlich und wertvoll zugleich.

 

Sie brechen etwas auf, schieben das Lebensgerümpel zur Seite und geben den Blick in den Abgrund frei.

Wolltest du nicht immer schon malen, singen, tanzen, eine Weltreise machen, einen Park pflanzen, ein Lied komponieren? Wer bist du, wenn du deine teure Kleidung, deine technische Ausstattung und dein Diplom zur Seite legst? Was wolltest du sein, als du ein Kind warst, wofür hast du als Teenager gekämpft und gerungen, bis die erwachsene Übermacht dir Vernunft beigebracht hat?

 

Meine Intention beim Schreiben ist, Geschichten zu schaffen, die alle diese Ebenen berühren. Ich möchte, dass du abschalten, abtauchen und die Welt vergessen kannst - und sich mit etwas Glück beim Lesen eine Tür für dich öffnet, durch die du wieder Zugang zu dem erhältst, was für dich wertvoll ist. Manchmal tut es sehr weh, manchmal fließen viele Tränen, wenn der Blick unerwartet auf eine alte Wunde fällt.

 

Dann nimm dir Zeit, erkenne deine Wunde an. Und suche nach einem Weg, deinen Alltag ein wenig weniger alltäglich zu machen. Suche nach deinem Weg ins Freie. Grabe dir ein Loch unterm Zaun durch, spring drüber oder such nach der Tür. Ganz egal. Wichtig ist nur: Nimm deinen Schmerz, deine Sehnsucht ernst. Niemand sonst kann das für dich tun. Du bist es wert, lebendig und erfrüllt zu sein. Du bist jede Mühe und jedes Risiko wert, dich Stück für Stück zu befreien.

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Noch ist hier leider Baustelle. In den nächsten Wochen entstehen hier Beiträge rund um alles, was im weitesten Sinne in den Themenkreis "Geschichten - Wachstum - Selbstakzeptanz" passt. Lass dich überraschen und schau bald wieder vorbei!

Woher Geschichten kommen

Inzwischen geht man davon aus, dass der Mensch hauptsächlich zu sprechen begonnen hat, um über Abwesende zu lästern. Gut, sich über Nahrungsquellen und Gefahren auszutauschen war sicher auch sehr nützlich, aber wenn man die eigenen Gesprächsinhalte kritisch betrachtet, kommt man schnell zum selben Schluss wie die Wissenschaft in größeren Studien: die meiste Zeit reden wir über Menschen. Was tut der, warum tut er das, welche Meise hat er, mit wem ist er befreunet - und wie der schon wieder herum läuft.

 

Die ersten Geschichten, die Menschen einander erzählt haben, dürften daher nur für Insider interessant gewesen sein. Sicher hat sich niemand die Mühe gemacht, sie über Generationen weiter zu tragen.

Trotzdem verfügen wir heute über einen riesigen Fundus an uralten Geschichten. Es gibt Märchen, Mythen, Legenden und Göttergeschichten. Überall auf der Welt erzählten Menschen einander diese Geschichten, trugen sie Generation um Genernation mit sich herum, teilweise bis heute. Manche  Geschichten sind mit ihrem Volk gestorben. Anderen wurden irgendwann aufgeschrieben und als "Kindergeschichten" oder "Kulturgeschichte" deklariert.

 

Von Myhten und Märchen geht noch heute eine Fasziniation aus, die sich allerdings oft nicht mehr richtig packen lässt. Gerade bei den europäischen Märchen kamen zuerst die Gebrüder Grimm daher, später Walt Disney - und vermutlich hat das erste Bild, das uns jetzt bei der Erwähnung von "Cindarella" einfällt, überhaupt nichts mehr mit der ursprünglichen Intention vom Märchen vom Aschenbrödel zu tun.

 

Den Märchen ist es nicht anders ergangen als alten Bauwerken oder unserer Landschaft. Nach Bedarf und dem jeweiligen Geschmack wurde vorhandenes umgestaltet, erweitert, Teile entfernt, kleines zu größerem verbunden, störende Schnörkel fielen weg. Das ist in dem Sinn nicht schlimm, denn jede Zeit hat ihre Erfordernisse. Ohne Veränderungen und Umbauten wären keine kulturellen Blüten möglich. Ohne all das könnten wir heute nicht über Web miteinander in Verbindung treten und via Social Media lästern (gewisse Dinge ändern sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht...).

 

Doch wer verstehen möchte, was an diesen alten Geschichten wertvoll ist und was sie bedeuten, muss wissen, dass er letztlich oft Bruchstücke in Händen hält. Kein Ganzes, auch wenn es den Anschein hat. Geschichten waren früher oft "Seelenführer". Sie zeigten die Situtaion auf, in der ein Mensch sich befand, zeigten einen oft gefahrvollen Weg, auf dem man schon mal sein letztes Hemd, seine Kinder oder Gliedmaßen verlieren musste, um ganz am Ende, gereift und gewandelt, angemessen auf die Situation reagieren zu können. Geschichten waren Medizin. Doch um richtig wirken zu können, muss die Medizin möglichst vollstänig sein. Und von jemanden verabreicht werden, der weiß, was er tut.

 

Wenn dich das Thema interessiert, empfehle ich dir "die Wolfsfrau" von Clarissa Pinkola Estés.

(Sie weiß, was sie tut! Ich kenne kein vergleichbares Buch.)